zum Forum für diese Seite
"Hey hey, my my, Video Games will never die"
Heinrich Lenhardt, 27.3.2002

Die Videospiele-Vergangenheit ist ganz schön gegenwärtig. Diese Erkenntnis erschloss sich mir beim Durchblättern der Erstausgabe von Video Games. Fette 94 Wertungs-Punkte kassierte damals Super Mario World. Und das ist zufälligerweise genau das Spiel, mit dem ich mich anno 2002 im Schein der Nachtischlampe vergnüge (zur großen Begeisterung meiner Gattin); die neue Umsetzung für den Game Boy Advance hat den 16-Bit-Mario neu belebt. Auch für eine elf Jahre Spiele-Zeitschrift, deren Kiosk-Dasein durch Marktveränderungen und verlegerische Tragödien beendet wurde, gibt es ein Leben nach dem Tod, Web-Seiten wie kultpower sei Dank. In diesem Sinne: Happy Birthday Video Games!

Blicken wir zurück auf das Jahr 1991: Ich hatte gut ein Jahr vorher beim Verlag Markt&Technik entnervt meine Kündigung eingereicht, weil es ewiges Gewürge und Verzögerungen bei der Geburt von Power Play gab. Allerdings blieb ich der (zwischenzeitlich erfolgreich monatlich erscheinenden) Power Play als Autor treu und hegte relativ bald neue Zeitschriften-Phantasien -- neue Hefte machen ist immer spannender als bestehende Titel zu verwalten. Durch den Erfolg von Power Play weich gekocht ließen sich die Verlagsoberen vom Konzept eines Videospiele-Spin-Offs überzeugen. Video Games durfte (anfangs als "Special von Power Play" auf Bewährung im 3-Monats-Abstand) erscheinen. Die Personal bestand im wesentlichen aus der Konsolen-Fan-Fraktion der Power-Play-Redaktion, die sich um Martin "Maga" Gaksch und seine "Ich besorge jeden Japan-Import"-Künste scharte.

Ein Multiformat-Konsolenheft zu machen, war in den frühen 90er Jahren naheliegend. Das Ende der Heimcomputer-Ära dämmerte, der PC war erst am Anfang seines Spiele-Aufstieg, während der Amiga seine goldenen Jahre erlebte. Bei Videospielen ging die Post aber richtig ab. Der Game Boy war ein revolutionäres Mobil-System, mit Lynx und Game Gear formierte sich die (Batterie-Berge verzehrende) Konkurrenz. Mega Drive und Super Nintendo (damals nur als Japan-Import "Super Famicom" bekannt) fochten mit glitzernder neuer 16-Bit-Hardware einen heißen Kampf um die Wohnzimmer-Vorherrschaft aus. Zudem gab es noch Exoten wie die PC-Engine, welche nie in Europa erschien, aber ein Liebling der Redakteure war. So ziemlich jeder Power-Play-Mitarbeiter hatte einen Japan-Import privat gekauft. R-Type, World Court Tennis, Bomberman und Son Son II waren beliebte Feierabend-Killer.

Ganz erheiternd ist aus heutiger Sicht das frühe Video-Games-Layout. Eine (im Vergleich zur Power Play) jüngere Zielgruppe im Auge sollte das Magazin relativ bunt werden. Allerdings waren unsere Redakteure zu der Zeit große Feinde quietschiger Chaos-Layouts (wie beim damaligen Todfeind ASM). Der Kompromiss war die Zulassung von Farbverläufen in Spieletests bei gleichzeitiger Verwendung sehr klar aufgebauter Standard-Layouts mit geraden Screenshots (... wenn schon die Headlines schräg sein mussten). Da jede Farbe einer bestimmten Konsolen zugeordnet war, hatte das bunte Treiben einen gewissen ordnenden Sinn. Bei den Tests fanden sich viele Power-Play-Tugenden wie die Unterteilung in Beschreibung und Meinung wieder. Auf der verzweifelten Suche nach neuen Kasten-Ideen kamen wir auf die Spieletyp-Icons, welche über die Genreanteil-Mischung informieren sollten. "Arch Rivals" [Seite 39] (der Opa von "NBA Jam") war zum Beispiel ein Sportspiel, aber keine Simulation, sondern mit Action-Freiheiten versehen. Also bekam's zwei Sport-Icons und ein Action-Icon verpasst.

Abteilung "Was mir beim erneuten Durchblättern der Erstausgabe sonst noch so auffiel": 1991 war die "Vom Bildschirm abfotografieren"-Ära in Sachen Screenshots. Die Versuche, erkennbare Bilder vom Matsch-Display des klassischen Game Boy zu knipsen, führten lange Zeit zu abenteuerlichen Licht-/Blenden-Experimenten mit erheiternden Resultaten. In der Not verwendeten wir teilweise abgescannte Bilder von Spielepackungen (Suchspiel auf Seite 68 in der Erstausgabe: "Welches der sechs Kwirk-Bilder hatten wir nicht selbst geknipst?"). Ganz knuffig auch die Idee der "Referenzkarten zum sammeln" [Seite 43]+[Seite 44], auf denen jeweils zwei Spiele-Klassiker vorgestellt wurden. Ein bisschen weniger Text und mehr farbige Screenshots hätten allerdings nicht geschadet (die Produktionskosten waren im Weg).

Ansonsten fällt mir rückblickend auf, wie "streng" damals die Test-Wertungen ausfielen. 50 war wirklich die Mitte in der Wertungs-Skala, selbst nett-spaßige Titel wie Pac-Mania [Seite 77] landeten "nur" bei 67 Punkten. Sogar ein Semi-Klassiker wie Wonderboy 3 auf Master System [Seite 78] kam nicht über 83 hinaus. 90er-Wertungen waren echten Jahrhundert-Werken wie eben Super Mario World [Seite 94]+[Seite 95] vorbehalten. Ach ja, und wer sich heutzutage über die Xbox-Lifestyle-Werbung und ähnliche PR-Exzesse aufregt, möge sich mal die Perlen der Reklamekunst anno 1991 ansehen (Seite 103). An die Epoche der "Videospiel-Cassetten der Sonderklasse" erinnernd ziehen wir den Hut vor der Video Games und der tollen Fan-Community, welche dieses Stück Zeitschriften-Geschichte am Leben hält.






Kommentare sind ab dem 7.5.2018 nicht mehr verfügbar. #dsgvo